Adipositas: Wenn die Krankheit im Alltag zum Stigma wird

Adipositas: Wenn die Krankheit im Alltag zum Stigma wird

Starkes Übergewicht – auch als Adipositas bezeichnet – wird bereits seit dem Jahr 2000 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als eigenständige Krankheit definiert. Das stark vermehrte Bauchfett (viszerales Fett) ist u. a. hormonell und stoffwechselaktiv. Die Adipositas erhöht dadurch das Risiko für Folgeerkrankungen, wie die Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus Typ 2) oder Herz-Kreislauf-Probleme. Jedoch hat die Adipositas für die Betroffenen neben der körperlichen auch eine psychosoziale sowie eine sozioökonomische Dimension. Was bedeutet das?

Menschen mit starkem Übergewicht entsprechen nicht dem jungen, sportlichen und gesundheitsbewussten Schönheitsideal unserer Gesellschaft und sind daher häufig Opfer von Abneigung sowie Diskriminierung.
Während im Jahr 2017 rund 54 % der Erwachsenen in Deutschland übergewichtig waren, betrug der Anteil adipöser Menschen davon etwa 18 % – Tendenz weiter steigend. Einer Umfrage zufolge finden fast drei Viertel der Deutschen „Dicke“ unästhetisch, rund 25 % haben stigmatisierende Einstellungen gegenüber adipösen Menschen und jede achte Person geht diesen sogar ganz aus dem Weg.

So werden adipöse Menschen nicht selten als „bewegungsfaul“ angesehen oder es wird über eine ungesunde Ernährung gemutmaßt. Am Ende bleibt das Stigma, dass stark Übergewichtige selbst schuld an ihrer Situation seien. Die Folgen sind Ausgrenzung und Diskriminierung, welche Spuren in der Psyche der Betroffenen hinterlassen. Ängste, Depressionen sowie weitere Stigmatisierung können wiederum einen Teufelskreis auslösen, wenn Menschen mit starkem Übergewicht ihre seelischen Schmerzen zu kompensieren versuchen, z.B. mittels „Frustessen“. Ebenso werden ihnen oft aufgrund ihrer Leibesfülle bestimmte Kompetenzen im Berufsleben abgesprochen, sodass adipöse Menschen sich entsprechende beruflichen Herausforderungen häufig nicht mehr zutrauen.

Selbst nach 22 Jahren wird die Adipositas noch nicht überall im Bewusstsein der akademischen Medizin als eine eigenständige Krankheit wahrgenommen. So werden beispielsweise Appetitzügler und unterstützende Medikamente zum Abnehmen nach wie vor nicht von Krankenkassen erstattet (wobei allerdings angemerkt werden muss, dass die Interessen der akademischen Medizin und der Krankenkassen nicht identisch sind und die Krankenkassen nicht alle Behandlungen bezahlen, die die Schulmedizin für sinnvoll erachtet).

Auf der anderen Seite haben Menschen mit Adipositas selbstverständlich das gleiche Recht auf Behandlung wie Menschen mit anderen Erkrankungen. Solltet ihr selbst von Adipositas und/oder Stigmatisierungserfahrungen betroffen sein, wendet euch bitte stets für eine entsprechende Therapie an eine Facharztpraxis. Dort werdet ihr mit eurem Krankheitsbild ernst genommen sowie individuell behandelt und begleitet.

Habt Ihr Erfahrungen mit Diskriminierung als Adipositaspatientin oder -patient gemacht?

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Beitragsfoto: © Canva

Kommentare (4)

  1. Ich glaube, dass jeder mit ein paar Kilo zuviel Diskriminierung kennt.
    In der Schule hatte ich zwar noch normalgewichtig (BMI 24), wurde da aber schon verspottet und ausgelacht.
    Für eine Voruntersuchung für eine Ausbildung wurde mir von der Hausärztin auch eine leichte Adipositas bescheinigt. Ich hätte mir jemand anderes suchen sollen…
    Sie blieb nicht die einzige Ärztin, die meinte, ich müßte mich nur etwas zusammenreißen.
    In der Arbeitswelt bekommt man ab nem BMI von 30 zumindest als Frau zurückgespiegelt, man wäre Kunden nicht zuzumuten wegen des Aussehens.
    Die Diskriminierung der Dicken ist ständig präsent, gesellschaftlich akzeptiert und anscheinend auch erlaubt.

    Fazit: ich fühlte mich als Schülerin schon dick und mochte keine Sportklamotten anziehen, um mich den Blicken nicht auszusetzen

    Heute habe ich nen BMI von 39 erreicht. Mittlerweile sind mir die Blicke meist egal, und ich habe erkannt, dass ich eigentlich immer noch recht sportlich bin und mich ganz gerne bewege. Ich liebe zB. mehrtägige Radtouren.
    Nur esse ich immer noch zu oft so viel, dass das Gewicht weiter nach oben geht.

  2. Ich bin extrem übergewichtig seit 16 Jahren. Da hatte ich eine Hysterektomie und es wird seitdem immer mehr und ich kann gar nicht so wenig essen, dass ich abnehme. Ich bin seit 35 Jahren Typ 1 Diabetikerin und der erste Schub Übergewicht kam vor dreißig Jahren, als ich nach einer Kreuzband OP ein halbes Jahr an Krücken ging. Das hatte ich schon fast wieder auf normal, als es notwendig wurde meine Gebärmutter zu entfernen. Da ging es dann richtig los. Ich fühle mich, so wie ich bin nicht wohl und möchte diesen unförmigen Bauch, sowie meine angeschwollenen Beine weg haben. Bisher habe ich leider nur Ernährungstipps bekommen, aber als Typ 1 Diabetikerin muss ich sehr diszipliniert essen, ich würde mich auch gern mehr bewegen, aber da machen inzwischen die Beine und Füße nicht mehr mit.

  3. Das Thema Diskriminierung war in den letzten Jahren allgegenwertig. In der Arbeit, im Privatleben, in der Freizeit, im Gesundheitsbereich.

    Im Privatleben und in der Freizeit wurde zuletzt nicht mehr nur hinter vorgehaltener Hand gelästert, nein, es wurden auch gemeine Witze in der direkten Gegenwart gemacht. Das gleiche habe ich in der Arbeit erlebt.

    Am Schlimmsten empfand ich aber die Diskriminierung im Gesundheitswesen. Selbst die Standard Untersuchungen beim Frauenarzt wurden zum Spießroutenlauf, weil es offenbar wichtiger war, dem Patient sein Gewicht um die Ohren zu knallen, als die eigentliche Vorsorge zu machen. Oder beim Dermatologe der Kommentar „Sie müssen schon mit anpacken und den Bauch hochheben – alleine schaffe ich das nicht“. Die Krönung war bei einem MTR Besuch, als man mir ohne Umschweife sagte, mal schauen, ob Sie da reinpassen, ansonsten müssen wir Sie halt zusammenkleben…

    Ja, Diskriminierung war ein großes Thema, das mich mit zunehmendem Alter und Gewicht auch immer mehr getroffen hat.

  4. Als ich ca. 20 Jahre alt war, ging ich ganz normal über eine grüne Ampel. Ein Autofahrer rief mir aus dem Cabrio zu: „Du fette Sau!“ Einfach so. Ich hatte überhaupt nichts gemacht.
    Diskriminierung aufgrund meines Übergewichtes habe ich vielfach erlebt. In der Arbeit ging es nicht um meine Leistung, die immer gelobt wurde, sondern plötzlich um meinen Umfang, an dem sich andere Menschen stören könnten. Ob ich kein Problem hätte, so übergewichtig vor anderen Menschen zu stehen und zu agieren?

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