Kopiert heißt nicht kapiert!
Von der Bedeutung für Adipositaspatienten, eine individuelle Therapiestrategie zu entwickeln, welche die eigene Lebenssituation in den Vordergrund stellt.
Nicht selten stellen sich Patienten in meiner Adipositas-Sprechstunde vor, die bereits sehr genaue Vorstellungen haben, welche Art der Adipositas-Operation bei ihnen durchgeführt werden soll. Hierbei ist zu unterscheiden zwischen Patienten, die sich bereits längere Zeit mit der Möglichkeit einer Adipositas-Operation beschäftigen und sich hinreichend informiert haben. Andere wiederum möchten eine bestimmte Operation, weil ein Bekannter genau diese Operation bekam und gute Erfolge erzielen konnte. Oder sie möchten eine bestimmte Operation eben nicht, weil ein Bekannter eher schlechte Erfahrungen gemacht hat.
Die Entscheidung, welche Art der Adipositas-Operation durchgeführt werden sollte, hängt aber von multiplen Faktoren ab. Zu nennen wären zum Beispiel das Patientenalter, das Körpergewicht, die Vorerkrankungen, das Essverhalten, der Beruf und das Geschlecht. Schnell ist erkennbar, dass die Empfehlung für eine bestimmte Operation immer individuell gefällt werden muss. In diesem Zusammenhang muss auch erwähnt werden, dass einige Adipositaszentren immer nur den Schlauchmagen empfehlen. Andere wiederum immer nur den Roux-en-Y Magenbypass oder den sog. Mini-Bypass. Ganz nach dem Motto: „Wer als Werkzeug nur einen Hammer hat, sieht in jedem Problem einen Nagel.“ Auch dieses Vorgehen ist aus meiner Sicht schlichtweg falsch oder sogar fahrlässig. Denn jede OP-Technik hat nun mal Vor- und Nachteile, die immer zu berücksichtigen sind.
Wenn Sie noch nicht informiert sind, lassen Sie sich informieren! Nutzen Sie hierzu die modernen Möglichkeiten des Internets nur dann, wenn Sie sicher sein können, dass Sie fachlich fundiertes Wissen bekommen. Facebook-Gruppen bilden hierbei häufig nur in sehr kurzer Form sehr individuelle Erfahrungen ab und sind daher mit Vorsicht zu betrachten. Am besten lassen Sie sich ausreichend in Ihrem Adipositaszentrum informieren und nehmen Informationsveranstaltungen wahr.
Auch in der Nachsorge lässt sich immer wieder das Phänomen beobachten, dass sich Operierte mit anderen Operierten vergleichen
Die Nachsorgeuntersuchung nach einer erfolgten adipositas-chirurgischen Maßnahme ist zweifellos ein fundamentaler Baustein. Hierbei geht es aber nicht nur um Blutuntersuchungen, um einen Mangel frühzeitig festzustellen und zu behandeln. Genauso wichtig sind aus meiner Sicht auch die Gespräche zwischen Arzt und Patient. Aus der täglichen Praxis finden sich dann nämlich unterschiedliche Probleme, die erst im Gespräch zum Tragen kommen.
Einige Patienten sind sich unsicher, ob sie nach einer Adipositas-Operation „erfolgreich“ sind. Erfolg wird dabei unterschiedlich wahrgenommen. Häufig wird der Erfolg der Therapie allein an der Gewichtsabnahme festgemacht. Dabei werden verschiedene Fehler gemacht.
Fehler #1
Es ist immer verkehrt, wenn die eigene Gewichtsabnahme mit anderen Betroffenen verglichen wird. Dieses Verhalten ist aber absolut menschlich und nachvollziehbar. Unabhängig davon muss an dieser Stelle hervorgehoben werden, dass jeder operierte Patient unterschiedlich stark abnimmt. Aber wie in Fehler #2 beschrieben, ist dieser rein am Körpergewicht festgemachte Vergleich nicht möglich und verbietet sich daher.
Fehler #2
Die Gewichtsabnahme wird fälschlicherweise unabhängig von der Körpergröße gesehen. Aber nur dann ist eine sinnvolle Einschätzung möglich. Mediziner nutzen hierzu häufig den sogenannten Excess Weight Loss (EWL). Dabei wird errechnet, wie hoch der Verlust des Übergewichtes (in %) bezogen auf das Idealgewicht ist. Wenn beispielsweise ein Übergewicht von 100 kg vorliegt und die Gewichtsabnahme nach Operation bei 70 kg liegt, liegt also ein EWL von 70% vor. Häufig wird ein EWL-Grenzwert von mindestens 50% als Therapieerfolg angenommen. Da jeder Betroffene ein anderes Idealgewicht und ein anderes Übergewicht hat, ist der Erfolg einer Adipositas-Therapie allein durch den Körpergewichtsverlust nicht messbar.
Fehler #3
Gewichtsabnahme und die damit verbundene Veränderung der eigenen Körperwahrnehmung ist verständlicherweise ein wichtiger Faktor. Auf keinen Fall darf dabei außer Acht gelassen werden, welche Begleiterkrankungen sich nach einer Operation verbessern oder sogar nicht mehr nachweisbar sind. Zum einen haben wir gravierende Erkrankungen, die sich auch für den Patienten offensichtlich verbessern, wie beispielsweise Gelenkschmerzen oder das Schlafapnoesyndrom. Andere Verbesserungen lassen sich durch einfache Messungen feststellen. In erster Linie wäre da der Diabetes mellitus 2 oder der Bluthochdruck zu nennen. Aber im Rahmen der regelmäßigen Blutuntersuchungen, die wir an unserem Zentrum durchführen, finden wir weitaus mehr Parameter, die sich normalisieren. Beispielhaft sind hier Leberwerte, Blutfette, Cholesterin, Harnsäure und Entzündungswerte zu nennen.
All diese Erkrankungen und Veränderungen, die bei mehr oder weniger allen Adipositaspatienten vorliegen, führen letztendlich zu einer erhöhten Sterblichkeit. Es wäre also fatal den Erfolg einer Adipositas-Therapie nur am Gewichtsverlust festzumachen.
Zusammenfassend möchte ich also nochmals darauf hinweisen, dass eine Adipositas-Therapie IMMER individuell zu sehen ist. Diesen Anspruch sollten Sie an sich selbst und an Ihr Adipositaszentrum haben.
Ihr Dr. med. Min-Seop Son
Stellvertretender Leiter der AMC-WolfartKlinik,
Zentrum für Adipositas- und metabolische Chirurgie
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