Süchte im Auge behalten! - Suchtverlagerung nach baratrischen Operationen

Ein Gastbeitrag von Bernadette Heißenhuber, Psychologische Psychotherapeutin.

Wir Menschen verknüpfen mit Essen mehr als nur die stoische Aufnahme von Nahrung. Oft ist Essen ein soziales Ereignis. Wir zelebrieren Feiern mit großen gemeinsamen Festessen oder genießen das Hotelbuffet im Urlaub. Für viele Menschen haben diese Momente und das dazugehörige Essen einen sehr hohen Stellenwert. Darüber hinaus kann eine Mahlzeit auch eine Funktion als Belohnung, Entschädigung oder zur Regulierung von Gefühlen einnehmen. Bei freudigen Ereignissen oder wenn es Erfolge zu feiern gibt, ist Essen in unserer Gesellschaft kaum wegzudenken. Aber auch Gegenteiliges kann der Fall sein: Menschen können mit Frustessen reagieren. All diese Verknüpfungen sind in der Regel keine bewussten Entscheidungen, sondern Erfahrungen die wir seit unserer Kindheit gesammelt und über viele Jahre verinnerlicht haben.

Neben dieser Bedeutung von Essen, weisen neurobiologische Erkenntnisse seit einigen Jahren auf den engen Zusammenhang zwischen Essverhalten und Sucht hin. In unserem Gehirn gibt es ein System, das bei angenehmen Erfahrungen Botenstoffe aussendet, um solche Erfahrungen und die dazugehörigen Umstände schnell und gut zu verinnerlichen. Ziel ist es, schöne Erfahrungen gezielt wieder auslösen zu können. In diesem Zusammenhang wird der Botenstoff Dopamin und körpereigene Opioide freigesetzt, was von uns als angenehm erlebt wird. Wissenschaftler sprechen hierbei vom dopaminergen Belohnungssystem. Neben natürlichen Erfahrungen, wie Essen, aktivieren auch Substanzen wie Alkohol, Nikotin, Medikamente und illegale Substanzen dieses Belohnungssystem. All diese Substanzen aktivieren das System allerdings deutlich stärker, als natürliche Erlebnisse zu denen Essen oder auch Sex zählen. Neurobiologen zufolge sind daher Sucht und Nahrungsaufnahme eng miteinander verknüpft.

Nach einer bariatrischen Operation besteht das Risiko, diese Sucht, das Essen, durch eine andere Sucht zu ersetzten. Kann nach der bariatrischen Operation durch die dann reduzierte Essensmenge eine der oben genannten Funktionen nicht mehr erfüllt werden, entsteht eine Lücke. Dadurch erhöht sich das Zugriffs-Risiko auf andere schnell verfügbare Genussmittel deutlich.

Studien haben gezeigt: Die Gefahr für Alkoholmissbrauch steigt nach einer bariatrischen Operation erheblich. Während sich im ersten Jahr nach der Operation noch wenig, bis keine Veränderungen zeigten, stieg amerikanischen Studien zufolge, im zweiten Jahr nach der Operation die Zahl der Alkoholabhängigen auf rund 10 %, während nach fünf Jahren 20 % der operierten Patienten Alkoholprobleme aufwiesen. Warum gerade Alkohol so kritisch zu betrachten ist, liegt an verschiedenen Faktoren. Durch die anatomische Veränderung nach der Operation ist die Wirkung von Alkohol deutlich stärker. Vor einer Operation gelangt nur ein Teil des Alkohols in den Blutkreislauf und ins Gehirn, da Enzyme bereits im Magen den Alkohol abbauen. Bei Menschen mit Magenbypass zeigt der Alkohol eine direktere Wirkung. Betroffene erleben einen schnellen Alkoholkick, der leichter in die Alkoholsucht führen kann. Hier ist also besondere Achtsamkeit geboten.

Aber Suchtverlagerung kann sich auch anders auswirken. Unser Kopf, der wie oben beschrieben über das dopaminerge Belohnungssystem angenehme Erfahrungen schnell speichert, greift bei der Suche nach angenehmen Erlebnissen gerne auf Bekanntes zurück. Ehemalige Raucher sind gefährdeter, wieder mit dem Rauchen anzufangen, andere dagegen neigen eher zu Schmerzmittelmissbrauch. Für wieder andere ist es Glücksspiel, übermäßiges Shopping oder Computerspiel, das Suchtpotenzial bietet.

Es ist absolut ratsam, die eigene Achillesferse zu identifizieren, denn niemand ist solchen Risiken hilflos ausgeliefert. Die frühe Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Stellenwert und der Funktion des Essens bei einem selbst und Überlegungen wie die neu entstandene Lücke nachhaltig geschlossen werden kann, sind wirkungsvolle Präventionsmaßnahmen.

Macht man sich dann bewusst auf den Weg nach individuell geeigneten Alternativen des Genusses, reduziert sich das Risiko, dass unser Körper selbst nach verfügbaren, möglicherweise ungesunden, Wegen sucht. Was Genuss für jemanden darstellt, ist individuell unterschiedlich und sollte daher den persönlichen Bedürfnissen entsprechen. Jemand, der den ganzen Tag für sich am PC arbeitet, empfindet nach der Arbeit ein Treffen mit Freunden als Genuss, während ein anderer beruflich schon permanent in Kontakt mit Menschen ist und daher vielleicht in Ruhe ein Buch zu lesen als Genuss empfindet. Wesentlich ist dabei immer die ehrliche Selbstwahrnehmung. Diese Themen sollten im Rahmen einer Psychotherapie begleitend zur Operation und auch danach eingehend thematisiert werden.


Bernadette Heißenhuber, Psychologische Psychotherapeutin

Zur Autorin: Bernadette Heißenhuber ist Psychologische Psychotherapeutin. Sie verfügt über eine langjährige Expertise in der Behandlung von Adipositaspatienten und Menschen mit Essstörungen.
Neben der Arbeit in Ihrer eigenen Praxis leitet Frau Heißenhuber im Zentrum für Adipositas und Metabolische Chirurgie der AMC WolfartKlinik, die verhaltenstherapeutische Gruppentherapie im Rahmen der konservativen Therapie.

Beitragsfoto: © John Hain/pixabay.com
Autorenfoto: © WolfartKlinik

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