Die Angst vor der OP war immer mit dabei!

Faris Abu-Naaj sprach mit Heike A. über ihre Erlebnisse und Erfahrungen. In diesem Blogbeitrag könnt Ihr Heikes Geschichte nachlesen.

Immer wieder muss ich mich wundern, wenn ich in sozialen Netzwerken die Menschen sehe, die so optimistisch und voller Zuversicht am Tag der OP noch Posts versenden. Bei mir war das anders, denn ich hatte damals sehr viel Angst vor der OP und eine Menge Respekt vor eventuellen Komplikationen. Erschwerend kam bei mir sicher auch hinzu, dass dies meine erste OP war und ich mir deshalb auch für diese Entscheidung sehr viel Zeit gelassen habe. Aus heutiger Sicht vielleicht zu viel Zeit, da ich immer wieder versuchte, durch Diäten oder Hungerkuren die OP zu vermeiden. Leider waren die Konsequenzen meiner Versuche immer dieselben: Mein Gewicht stieg nach anfänglichen Erfolgen jedes Mal weiter an. Auch mein berufliches und privates Umfeld bemerkte diese negative Entwicklung. Es war ja auch nicht zu übersehen. Mit 28 Jahren brachte ich bei einer Körpergröße von 164 cm ein Gewicht von 134 Kilo auf die Waage und hatte Schwierigkeiten, meiner Arbeit als Kassiererin nachzukommen.

Die sitzende Tätigkeit sorgte für Ekzeme unter der Fettschürze meines Bauches und zwischen meinen Oberschenkeln. Auch litt ich unter Schlafstörungen, die laut meines Hausarztes aufgrund eines so genannten Schlafapnoesyndroms entstanden. Dazu kamen noch die abwertenden oder mitleidigen Blicke vieler Supermarktkunden, die mein eh schon geringes Selbstbewusstsein noch weiter verringerten. Zweimal verabredete ich einen Beratungstermin in einem Adipositaszentrum, nur um die beiden Termine kurz vor dem Termin wieder abzusagen. Zu groß war die Horrorvorstellung, dass bei der Operation selbst oder bei der Narkose etwas schieflaufen könnte. So redete ich mir immer nach der Terminabsage ein, es selbst zu schaffen und jetzt soweit zu sein, dass ich es doch noch durch einen neuen Diätversuch schaffen würde, mein Gewicht deutlich zu reduzieren. Ein Irrglaube, wie sich bereits nach einigen Wochen herausstellte.

blockquoteDer Besuch einer Selbsthilfegruppe gab mir neue Impulse

Der Besuch einer Selbsthilfegruppe gab mir neue Impulse, denn hier traf ich Adipositaspatienten, die eine Operation schon hinter sich gebracht hatten und mir viele Ängste nehmen konnten. Auch stellte ich fest, dass viele meiner Vorstellungen gar nicht der Realität entsprachen. So war ich immer davon ausgegangen, dass eine Operation drei bis vier Stunden dauern würde und ich danach zwei Wochen im Krankenhaus verbringen würde. In der ShG erfuhr ich, dass die meisten Operationen nur ca. eine Stunde dauern und viele Patienten bereits nach vier oder fünf Tagen das Krankenhaus verlassen konnten.

Aus heutiger Sicht muss ich sagen, dass ich mich viel zu spät detailliert informiert habe und dass viele meiner Ängste aus Vermutungen oder Halbwissen resultierten. Es gab in der ShG auch Menschen, die nicht vollständig den erhofften Erfolg durch die Operation erzielt hatten und sich auch ein zweites Mal unters Messer begeben mussten. Häufig berichteten mir diese Menschen von Reflux-Problemen nach einer Schlauchmagenoperation oder auch davon, dass sie nach einigen Jahren wieder deutlich zugenommen hatten. Dennoch gaben mir die Erfahrungen und Ergebnisse der anderen ShG-Teilnehmer den Mut, einen weiteren Beratungstermin im Adipositaszentrum zu vereinbaren. Heute bin ich froh, den Termin gemacht zu haben. Der Arzt nahm sich viel Zeit und erklärte mir die unterschiedlichen OP-Methoden. Auch untersuchte er mich gründlich und befragte mich nach meiner Lebenssituation und meiner Ernährungsweise. Obwohl der Chirurg mir viele meiner Ängste nehmen konnte, blieb meine Angst vor der Narkose und dem Gefühl der Machtlosigkeit, falls doch etwas passieren würde. Auf der anderen Seite stellte ich mir die Frage, wie es ohne die OP weitergehen würde und ob es überhaupt weitergehen könnte. Auf der Arbeit kam es aufgrund meiner eingeschränkten Belastbarkeit zu Spannungen. Mit jedem Kilo auf der Waage zog ich mich mehr zurück – immer mit der Konsequenz, dass ich weiter zunahm.

blockquoteHeute ist die OP 14 Monate her und es geht mir sehr gut

Also entschloss ich mich zur Operation. Dies geschah jedoch nicht wie bei so vielen mit einem lauten Hurra, sondern mit einer gewaltigen Portion Angst. Ich werde nie vergessen, wie ich nach der OP aufwachte und erfuhr, dass alles ohne Komplikationen abgelaufen ist. Dennoch hatte ich in den ersten vier Tagen nach dem Eingriff noch wirklich starke Schmerzen und eine unglaubliche Panik, etwas zu trinken oder etwas von der Suppe zu essen. Ständig war sie da, die Angst, dass irgendetwas undicht werden könnte. Aber von Tag zu Tag wurde es besser, und als ich das Krankenhaus nach fünf Tagen verlassen konnte, wurden die Sorgen und Ängste immer weniger. Heute ist die OP 14 Monate her und es geht mir sehr gut. Natürlich gibt es viele Patienten, die wahrscheinlich noch mehr als ich abgenommen haben, aber dennoch bin ich jetzt 42 Kilo leichter und die Pfunde schwinden weiter, wenn auch sehr langsam. Auch ist jedes Kilo nach wie vor ein Kampf, den ich jedoch mit Hilfe der „OP-Krücke“ und dem daraus resultierenden schnelleren Sättigungsgefühl und einem gewissen Maß an Disziplin gut bewältigt bekomme. Natürlich mache ich mir Vorwürfe, dass ich so lange gewartet habe. Andererseits glaube ich, dass ich damals vielleicht einfach noch nicht für eine OP bereit war. Auch denke ich, dass viele von uns Adipositaspatienten vielleicht zu leichtfertig in die OP gehen und sich nicht ausreichend über das wichtige Thema Vorbereitung oder auch Nachsorge kümmern.

Die Entscheidung für eine OP sei jedem selbst überlassen, wobei ich wirklich jedem raten kann, eine Adipositas-Selbsthilfegruppe zu besuchen und dort offen über seine Sorgen und Ängste zu sprechen. Mir hat das sehr geholfen und ich besuche auch nach der OP diese Treffen regelmäßig. Sie geben mir Kraft, weiter am Ball zu bleiben, und mittlerweile sind viele Freundschaften aus dieser Gruppe entstanden.

Beitragsfoto: © silviarita / Pixabay

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Süchte im Auge behalten! - Suchtverlagerung nach baratrischen Operationen

Ein Gastbeitrag von Bernadette Heißenhuber, Psychologische Psychotherapeutin.

Wir Menschen verknüpfen mit Essen mehr als nur die stoische Aufnahme von Nahrung. Oft ist Essen ein soziales Ereignis. Wir zelebrieren Feiern mit großen gemeinsamen Festessen oder genießen das Hotelbuffet im Urlaub. Für viele Menschen haben diese Momente und das dazugehörige Essen einen sehr hohen Stellenwert. Darüber hinaus kann eine Mahlzeit auch eine Funktion als Belohnung, Entschädigung oder zur Regulierung von Gefühlen einnehmen. Bei freudigen Ereignissen oder wenn es Erfolge zu feiern gibt, ist Essen in unserer Gesellschaft kaum wegzudenken. Aber auch Gegenteiliges kann der Fall sein: Menschen können mit Frustessen reagieren. All diese Verknüpfungen sind in der Regel keine bewussten Entscheidungen, sondern Erfahrungen die wir seit unserer Kindheit gesammelt und über viele Jahre verinnerlicht haben.

Neben dieser Bedeutung von Essen, weisen neurobiologische Erkenntnisse seit einigen Jahren auf den engen Zusammenhang zwischen Essverhalten und Sucht hin. In unserem Gehirn gibt es ein System, das bei angenehmen Erfahrungen Botenstoffe aussendet, um solche Erfahrungen und die dazugehörigen Umstände schnell und gut zu verinnerlichen. Ziel ist es, schöne Erfahrungen gezielt wieder auslösen zu können. In diesem Zusammenhang wird der Botenstoff Dopamin und körpereigene Opioide freigesetzt, was von uns als angenehm erlebt wird. Wissenschaftler sprechen hierbei vom dopaminergen Belohnungssystem. Neben natürlichen Erfahrungen, wie Essen, aktivieren auch Substanzen wie Alkohol, Nikotin, Medikamente und illegale Substanzen dieses Belohnungssystem. All diese Substanzen aktivieren das System allerdings deutlich stärker, als natürliche Erlebnisse zu denen Essen oder auch Sex zählen. Neurobiologen zufolge sind daher Sucht und Nahrungsaufnahme eng miteinander verknüpft.

Nach einer bariatrischen Operation besteht das Risiko, diese Sucht, das Essen, durch eine andere Sucht zu ersetzten. Kann nach der bariatrischen Operation durch die dann reduzierte Essensmenge eine der oben genannten Funktionen nicht mehr erfüllt werden, entsteht eine Lücke. Dadurch erhöht sich das Zugriffs-Risiko auf andere schnell verfügbare Genussmittel deutlich.

Studien haben gezeigt: Die Gefahr für Alkoholmissbrauch steigt nach einer bariatrischen Operation erheblich. Während sich im ersten Jahr nach der Operation noch wenig, bis keine Veränderungen zeigten, stieg amerikanischen Studien zufolge, im zweiten Jahr nach der Operation die Zahl der Alkoholabhängigen auf rund 10 %, während nach fünf Jahren 20 % der operierten Patienten Alkoholprobleme aufwiesen. Warum gerade Alkohol so kritisch zu betrachten ist, liegt an verschiedenen Faktoren. Durch die anatomische Veränderung nach der Operation ist die Wirkung von Alkohol deutlich stärker. Vor einer Operation gelangt nur ein Teil des Alkohols in den Blutkreislauf und ins Gehirn, da Enzyme bereits im Magen den Alkohol abbauen. Bei Menschen mit Magenbypass zeigt der Alkohol eine direktere Wirkung. Betroffene erleben einen schnellen Alkoholkick, der leichter in die Alkoholsucht führen kann. Hier ist also besondere Achtsamkeit geboten.

Aber Suchtverlagerung kann sich auch anders auswirken. Unser Kopf, der wie oben beschrieben über das dopaminerge Belohnungssystem angenehme Erfahrungen schnell speichert, greift bei der Suche nach angenehmen Erlebnissen gerne auf Bekanntes zurück. Ehemalige Raucher sind gefährdeter, wieder mit dem Rauchen anzufangen, andere dagegen neigen eher zu Schmerzmittelmissbrauch. Für wieder andere ist es Glücksspiel, übermäßiges Shopping oder Computerspiel, das Suchtpotenzial bietet.

Es ist absolut ratsam, die eigene Achillesferse zu identifizieren, denn niemand ist solchen Risiken hilflos ausgeliefert. Die frühe Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Stellenwert und der Funktion des Essens bei einem selbst und Überlegungen wie die neu entstandene Lücke nachhaltig geschlossen werden kann, sind wirkungsvolle Präventionsmaßnahmen.

Macht man sich dann bewusst auf den Weg nach individuell geeigneten Alternativen des Genusses, reduziert sich das Risiko, dass unser Körper selbst nach verfügbaren, möglicherweise ungesunden, Wegen sucht. Was Genuss für jemanden darstellt, ist individuell unterschiedlich und sollte daher den persönlichen Bedürfnissen entsprechen. Jemand, der den ganzen Tag für sich am PC arbeitet, empfindet nach der Arbeit ein Treffen mit Freunden als Genuss, während ein anderer beruflich schon permanent in Kontakt mit Menschen ist und daher vielleicht in Ruhe ein Buch zu lesen als Genuss empfindet. Wesentlich ist dabei immer die ehrliche Selbstwahrnehmung. Diese Themen sollten im Rahmen einer Psychotherapie begleitend zur Operation und auch danach eingehend thematisiert werden.


Bernadette Heißenhuber, Psychologische Psychotherapeutin

Zur Autorin: Bernadette Heißenhuber ist Psychologische Psychotherapeutin. Sie verfügt über eine langjährige Expertise in der Behandlung von Adipositaspatienten und Menschen mit Essstörungen.
Neben der Arbeit in Ihrer eigenen Praxis leitet Frau Heißenhuber im Zentrum für Adipositas und Metabolische Chirurgie der AMC WolfartKlinik, die verhaltenstherapeutische Gruppentherapie im Rahmen der konservativen Therapie.

Beitragsfoto: © John Hain/pixabay.com
Autorenfoto: © WolfartKlinik

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